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AutorenbildIsrael Reiseleiter

Yad VaShem: Moshe Safdie - Architektur der Erinnerung

Aktualisiert: 5. Mai 2023

Genauso definierte der israelisch-kanadisch-amerikanische Architekt Moshe Safdie seine Projekte, die er für die nationale Holocaust-Gedenkstätte Yad VaShem in Jerusalem konzipierte: Architektur der Erinnerung.

Moshe Safdie, der Architekt


Der heute international bekannte Architekt Moshe Safdie wurde 1938 in Haifa geboren, seine Eltern waren sephardische Juden aus Syrien. Die Kindheit verbrachte er im Kibbutz als Ziegen- und Bienenhüter. Im Alter von 15 Jahren emigrierte Moshe gegen seinen Willen mit der Familie nach Montreal in Kanada. Schon während seines Architektur Studiums stach er hervor. Anschließend machte er sein Praktikum bei einem der einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts: Louis Kahn.


Als überzeugter Zionist und Sozialist kehrte Moshe Safdie­ im Jahr 1967 nach Israel zurück und ließ sich in Jerusalem nieder. Seine Frau Nina hatte polnische Wurzeln und den Holocaust überlebt. Im Alter von nur 29 Jahren gelang Safdie mit dem Projekt „Habitat 67“ auf der World Expo 1967 der große Durchbruch. Immer war seine Architektur ein Engagement für geografische, kulturelle und soziale Aspekte, gepaart mit seiner multi-kulti Auffassung, und der Suche nach Innovationen. Dieser Mix machte ihn zu einem der führenden Architekten seit Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute. Eine Auflistung all seiner Projekte würde den Rahmen diese Blogs sprengen. Er entwarf Projekte in Nord- und Südamerika, in Nahost und in Asien: Flughäfen (Jewel Changi Airport in Singapur, Terminal 3 des Ben Gurion Airport), Marina Bay Sands Hotel & Shopping Center (Singapur), Kulturgebäude wie das Skirball Cultural Center (Los Angeles), neue Städte wie Modiin, Stadtviertel wie zum Beispiel David‘s Village mit dem David Citadel Hotel, den Mamilla Komplex, Umbau und Aufbau der Altstadt von Jerusalem nach 1967, Hebrew Union College, Yitzhak Rabin Center, Nationaler Campus für Archäologie, und natürlich Yad Vashem. Moshe Safdie ist nicht nur Architekt, sondern auch Städteplaner, Lehrmeister und Autor zahlreicher Bücher und Publikationen. Sein Leben teilt er zwischen Jerusalem und den USA auf, und auch im Alter von über 80 Jahren immer noch schaffend – Ruhestand ist ein Fremdwort für ihn. Auf der Webseite von Safdies Architekturbüro sind Fotos seiner spektakulären Bauten zu sehen. Jetzt mag sich Einer fragen, hat Yad VaShem zu viel Geld, um einen so internationalen renommierten Architekten zu beauftragen? Nein, hat Yad Vashem definitiv nicht. Moshe Safdie ist eben auch Idealist, und hat alle seine Werke hier ohne Honorar entworfen.



Das Besucherzentrum - eine Laubhütte


Die Laubhütten, die die Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten vor über 3000 bauten, standen Pate bei der Konzeption des Besucherzentrums. So wie die Israeliten in der Antike auf der Suche nach einer Heimat waren, und der Weg in das verheißene Land voll mit Hindernissen und Qualen war, so suchten die Überlebenden der Vernichtungs- und Konzentrationslager, die im Untergrund Versteckten und die, die mit den Partisanen und in den alliierten Armeen kämpften, nach einer neuen Heimat.

Ihre Vorfahren zogen vor Jahrtausenden lange, und teilweise ziellos in der Wüste herum. Die Überlebenden und geretteten Juden zogen traumatisiert durch Europa, immer auf der Suche nach Angehörigen, von DP-Camp zu DP-Camp (displaced persons camp). Israel wurde erst drei Jahre nach dem Ende der Vernichtung gegründet - am 15.­ Mai 1948.


Moshe Safdies „Laubhütte“ ist mit seinen Wänden aus Glas sehr lichtdurchlässig, die schmalen vertikalen Betonpfeiler stellen die Holzbalken dar, die weißen Lamellen des Daches die Palmenblätter einer Laubhütte. Eröffnet wurde das Besucherzentrum Im Jahr 2005.


Museum zur Geschichte des Holocaust


Das neue historische Museum durfte den pastoralen Charakter Yad Vashems nicht stören und sollte „unsichtbar“ werden. Somit ist der Körper weitgehend in der Erde verborgen, und nur der obere, gläserne, dreieckige Rücken ist sichtbar. Das gut 180 Meter lange Museum verläuft von einer Seite bis zur anderen Seite der Anhöhe von Yad Vashem.


Das Gebäude wurde als Prisma konzipiert, um dem Druck der umgebenden Erde besser trotzen zu können. Das Sonnenlicht beleuchtet durch den gläsernen Rücken den zentralen Gang des Museums. Vielleicht auch die Lichtblicke des Holocaust: Die Gerechten unter den Völkern, so wie die sich verengenden Mauern die Unterdrückung und das schwere Entkommen aus Europa ausdrücken sollen.

Drinnen sind flache Gräben in den Boden des Hauptganges geschnitten und mit Exponaten gefüllt. Diese Gräben leiten die Besucher zu den links und rechts liegenden Galerien weiter, und sie verhindern ein schnelles durchgehen – denn dem Holocaust konnte man auch nicht mal so eben schnell entkommen. Die einzelnen Galerien sind deutlich dunkler, so dass ein starker Kontrast zwischen Gang und Galerie entsteht: Verbrechen und Rettung.

Die Galerien sind eine Chronologie des Holocausts, mit vielen Videos von Zeitzeugen und original Exponaten. Es gibt bewusst sehr wenig Sitzgelegenheiten – der Holocaust war nicht bequem. Zum Ende hin ist die Halle der Namen, ein etwa 10 Meter hoher konischer Bau. Hier ist das Archiv mit den persönlichen Datenblättern und Aufzeichnungen aller namentlich bekannten Ermordeter. Im unteren „schwarzem Loch“ spiegeln sich die Fotos aus dem oberen Bereich – gewidmet denjenigen, deren Namen nie bekannt sein werden.

Zum Ausgang öffnen sich die Wände des Prismas – wortwörtlich Licht am Ende des Tunnels. Auf der Aussichtsterrasse am Ausgang gibt es einen Panaromablick auf Jerusalem und seine westlichen Vororte. Das jüdische Volk hat nicht nur den Holocaust überlebt, sondern auch noch einen ziemlich erfolgreichen Staat Israel gegründet.


Denkmal für die Deportierten


Ein Denkmal für die Millionen von Juden, die in Viehwaggons getrieben und aus ganz Europa in die Vernichtungslager transportiert wurden. Die Fahrt in den Abgrund ist wohl die passendste Beschreibung: Der Waggon symbolisiert die Reise in die Vernichtung - zu den Gaskammern. Die Hügel Jerusalems drum herum symbolisieren aber das neue Leben im jüdischen Staat Israel und in seiner Hauptstadt Jerusalem. Fertiggestellt wurde dieses Denkmal 1995.


Unterhalb des Güterwaggons steht auf Englisch und Hebräisch das Zeugnis eines Deportierten:

„Über 100 Leute wurden in unseren Viehwaggon gepackt. . . Es ist unmöglich, die tragische Situation in unserem luftlosen, geschlossenen Waggon zu beschreiben. Jeder versuchte, sich zu einer kleinen Luftöffnung zu drängen. Ich fand einen Riss in einem der Dielenbretter, in den ich meine Nase hineindrückte, um etwas Luft zu bekommen. Der Gestank im Viehwaggon war unerträglich. In allen vier Ecken des Waggons koten Menschen. . . nach einiger Zeit hielt der Zug plötzlich an. Ein Wachmann betrat den Waggon. Er war gekommen, um uns auszurauben. Er nahm alles mit, was nicht gut versteckt war: Geld, Uhren, Wertsachen. . . Wasser! Wir flehten die Eisenbahner an, wir würden sie gut bezahlen. Ich zahlte 500 Zloty und bekam eine Tasse Wasser – ungefähr einen halben Liter. Als ich anfing zu trinken, griff mich eine Frau an, deren Kind in Ohnmacht gefallen war. Sie war entschlossen, mich dazu zu bringen, ihr ein wenig Wasser zu lassen. Ich ließ etwas Wasser auf dem Boden der Tasse und sah dem Kind beim Trinken zu. Die Situation im Viehwaggon verschlechterte sich. Der Waggon erhitzte sich in der Sonne. Die Männer lagen halbnackt, einige der Frauen lagen in Unterwäsche. Die Leute hatten Mühe, etwas Luft zu bekommen, und manche bewegten sich nicht mehr. . . der Zug erreichte das Lager, viele lagen regungslos auf dem Boden des Viehwaggons. Einige waren nicht mehr am Leben.“


Ein original Viehwaggon der deutschen Reichsbahn, der von den polnischen Behörden an Yad Vashem übergeben wurde. Auf der Mauer eingemeißelt ein Gedicht des Dichters Dan Pagis. Er war als Kind im Konzentrationslager und konnte 1944 fliehen:

Mit Bleistift geschrieben im verplombten Waggon

hier in diesem Transport bin ich Eva mit Abel meinem Sohn wenn ihr meinen anderen Sohn seht Kain der Sohn Adams sagt ihm daβ ich ….


Die Kindergedenkstätte


Um die 1,5 Millionen jüdischen Kinder wurden ermordet, eines davon hieß Uziel Spiegel. Er war erst zweieinhalb Jahre jung, als sein viel zu kurzes Leben im Jahr 1944 grausam in den Gaskammern von Auschwitz endete. Uziels Eltern Edita und Abraham überlebten, und emigrierten nach Kaliforniern. In Gedenken an ihren Sohn Uziel - und gewidmet allen im Holocaust ermordeten Kindern - ließen sie die Kindergedenkstätte 1987 errichten.

Oberhalb des von einem natürlichen Felsvorsprung gebildeten Torbogens stehen Stelen in unterschiedlicher Höhe – sie symbolisieren Kinder jeden Alters. Ebenso sind am Eingang Stelen in aufsteigender Höhe zu sehen – von Babys bis Jugendlichen wurden sie alle bestialisch ermordet.

Eine aus dem Felsen gehauene Rampe führt in das Denkmal, das unter dem Hügel liegt. Ein Relief zeigt Uziel, so wie seine Eltern ihn in Erinnerung hatten, denn es gab noch nicht mal mehr ein Foto von ihm. Das Innere ist dunkel gehalten, und am Eingang sind einige Kinderfotos.

Kerzen des Gedenkens beleuchten das achteckige Zentrum. Diese fünf Kerzen werden durch eine Reihe von reflektierenden Glasscheiben und Spiegeln an Wänden, Boden und Decke in alle Richtungen ins Unendliche multipliziert – für jedes Kind eine Kerze, und ein Stern am Himmel.

Im Hintergrund werden auf Hebräisch, Jiddisch und Englisch die Namen, das Alter und das Land der bekannten ermordeten Kinder von einem Endlostonband abgespielt. Geschwister werden nacheinander gelesen, ansonsten gibt es keine Sortierung - es dauert Monate bis zur Wiederholung der Namen. Yad VaShem – Name und Erinnerung.


Am Ausgang ist eine Terrasse mit Blick auf die Umgebung Jerusalems - das Weiterleben des jüdischen Volkes. Sehr zu empfehlen ist der Bildband von Moshe Safdie „The Architecture of Memory“, den man beim nächsten Besuch vor Ort kaufen, oder online bei Yad VaShem, bestellen kann. Darf ich Sie einladen, sich meine Stadtführungen in Jerusalem und Tel Aviv anzuschauen?


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